Es gibt eine nicht
unbeträchtliche Zahl von bibeltreuen Auslegern und Gläubigen, mit denen wir
viele Überzeugungen teilen, die jedoch eine Zukunft für das Volk Israel
ablehnen. Diese Vertreter der sogenannten Bündnis-Theologie (oder Bundestheologie)
verweisen darauf, dass der neue Bund den alten Bund ersetzt hat und damit auch
die Verheissungen für Israel auf die Gemeinde übergegangen seien. Israel habe
durch seinen Unglauben die Verheissungen verspielt und deshalb als Volk keine
Zukunft mehr. Als Belegstelle wird Galater 6,15-16 zitiert: «Denn weder Beschneidung
noch Unbeschnittensein gilt etwas, sondern eine neue Schöpfung. Und so viele
dieser Richtschnur folgen werden, Frieden und Barmherzigkeit über sie und über
das Israel Gottes.» Die Bündnis-Theologie argumentiert, diese und andere
Stellen würden deutlich machen, dass die Gemeinde im neuen Bund das Israel
Gottes sei und das Volk Israel aus diesem Grund keine Verheissung als
auserwähltes Volk mehr habe.
Weiter wird beispielsweise
auf Römer 2,28-29 und 9,6-11 verwiesen. Paulus nennt in der ersten Römerstelle nicht
den einen Juden, der zu Israel gehört und beschnitten ist, sondern den, der die
Herzensbeschneidung (Glaubensgerechtigkeit) im Geist hat. Die zweite Römerstelle
bezeichnet nicht die Kinder des Fleisches (Israel als Volk) als Abrahams
Nachkommen, sondern die Kinder der Verheissung (die, welche glauben). Mit
diesen Stellen wird argumentiert, dass durch den neuen Bund die irdischen noch
ausstehenden Verheissungen für Israel hinfällig seien und sich diese nur noch
für die Glaubenden (Gemeinde) im geistlichen Sinn erfüllen.
Nun wird ein ganzer Teil von
Christen durch die Verbreitung der Bündnis-Theologie zunehmend verunsichert. Dadurch
stellt sich die Frage, ob die überwiegende Mehrheit der bibeltreuen Bewegung im
deutschsprachigen Raum die Bibel in der Israelfrage falsch verstanden und
ausgelegt hat. Aus diesem Grund möchte ich einige biblische Belege anführen,
die deutlich machen, dass Israel nach wie vor Gottes auserwähltes Volk ist und
von der Bibel her eine
grosse Zukunft hat.
1. Der Abrahambund. Wir
müssen in der Bibel verschiedene Bündnisse unterscheiden. Es gibt
bedingungslose, einseitige Bündnisse und solche, die an Bedingungen geknüpft
sind. Die Bündnis- Theologie verweist darauf, dass der alte Bund, er wird auch
mosaischer Bund, Sinaibund oder Gesetzesbund genannt, durch den neuen Bund
ersetzt und abgelöst sei.
Der alte Bund war an
Bedingungen geknüpft. So macht 5. Mose 28 deutlich, dass der Gehorsam gegenüber
dem Bund für Israel mit Segen, der Ungehorsam dagegen mit Fluch verbunden ist.
Durch seinen Ungehorsam gegenüber dem alten Bund habe Israel, nach den Aussagen
der Bündnistheologen, seine Auserwählung und die noch ausstehenden
Verheissungen verspielt. Wir kommen noch darauf zurück.
Aber zunächst einmal lesen
wir völlig unabhängig von dieser Behauptung in 5. Mose 28 von zwei
Zerstreuungen Israels, die mit dem Ungehorsam des Volkes zusammenhängen. Das
Kapitel spricht aber auch von der zukünftigen Sammlung Israels. In 5. Mose
28,36 geht es zunächst um die Wegführung des Nordreiches Israels durch die
Assyrer (Zehnstämme-Reich, 722 v.Chr) und die Zerstreuung des Südreiches (Juda,
586 v.Chr.): «Der Herr wird dich und deinen König, den du über dich setzten wirst,
zu einer Nation wegführen, die du nicht gekannt hast, du und deine Väter. Und
du wirst dort anderen Göttern aus Holz und Stein dienen.» Hier ist von einer
Nation die Rede, und die Wegführung steht in einem direkten Zusammenhang mit
dem König. Beides hat sich bei der Wegführung sowohl des Nordreiches als auch
des Südreiches erfüllt. Das Nordreich wurde unter seinem letzten König nach
Assyrien, das Südreich später nach Babylon weggeführt. In 5. Mose 28,64 ist
nicht mehr die Rede von der Wegführung im Zusammenhang mit dem König zu einer anderen
Nation, sondern von der Zerstreuung unter alle Völker auf der ganzen Erde: «Und
der Herr wird dich unter alle Völker zerstreuen von einem Ende der Erde bis zum
anderen Ende der Erde. Und du wirst dort andern Göttern dienen, die du nicht
gekannt hast, weder du noch deine Väter – Götter aus Holz und Stein.»
Diese zweite Zerstreuung
Israels hängt im weiteren Sinn mit der ersten Zerstreuung Israels zusammen, da
auch ein Teil der Weggeführten nach Assyrien und Babylon sich unter den Völkern
zerstreute. Aber die eigentliche Erfüllung kam mit der Zerstörung des Tempels in
Jerusalem 70 n.Chr. und der damit verbundenen Zerstreuung der Juden unter alle
Völker des Römischen Reiches. Besiegelt wurde dies noch mit der Niederschlagung
des Bar-Kochba- Aufstandes durch die Römer (135 n.Chr.) und der damit
verbundenen nochmaligen Zerstreuung von einem ganzen Teil des Restes der Juden,
die sich noch in Israel befanden.
Was können wir aus diesen
beiden Zerstreuungen lernen? Wenn Gott zum einen die Geschichte Seines Volkes, trotz
dessen Ungehorsam, nach der ersten Zerstreuung nicht beendet hat, liegt es
nahe, dass Er dies auch nach der zweiten Zerstreuung Israels nicht tun wird.
Aber das Zweite ist noch wichtiger. Die Verheissung über die zukünftige Sammlung
Israels in 5. Mose 30,1-6, kann sich nicht mit der Rückkehr der Juden aus dem
babylonischen Exil erfüllt haben, sondern muss sich auf eine zukünftige
Sammlung nach der zweiten Zerstreuung beziehen. Dies wird daran deutlich, dass
Vers 3 von der Sammlung aus allen Völkern und nicht nur aus einem Volk spricht
(vgl. 5.Mo 28,36), unter die Israel zerstreut war. Eine solche Sammlung kann
sich aber erst nach der zweiten Zerstreuung Israels erfüllen. Ausserdem ist in
Vers 6 die Rede davon, dass der Herr Seinem Volk das Herz beschneiden wird und
dass es Ihn ganz lieben und Ihm dienen wird. Dies hat sich trotz der Erweckungsbewegung
unter den Rückkehrern aus Babylon auch noch nicht erfüllt. Der Prophet Maleachi
macht deutlich, wie schnell es nach der Erweckungsbewegung unter Serubabel,
Esra und Nehemia wieder zur Oberflächlichkeit und zum Abfall kam.
Wir fassen zusammen:
Unabhängig davon, wie man die Übertragung der Verheissungen vom alten auf den neuen
Bund deuten mag, kann man aus 5. Mose 28 nicht folgern, dass Israel seine
Verheissungen durch den Ungehorsam gegenüber dem Gesetzesbund verloren hätte.
Dieses Kapitel macht deutlich, dass Israel zweimal zerstreut wird und die
Verheissung für die zukünftige Sammlung (5.Mo 30) sich nicht auf die Rückkehr
aus der babylonischen Gefangenschaft, sondern erst auf die Zerstreuung unter
alle Völker in der Zeit nach Christus und die Rückführung aus all diesen
Völkern beziehen kann.
Nun aber zurück zu den
Bündnissen. In der Bündnis-Theologie wird ein wichtiger Bund falsch eingeordnet
sowie seiner irdischen Verheissungen für das Volk und Land Israel beraubt: Der
Abrahambund. Im Gegensatz zum alten Bund oder Gesetzesbund ist der Abrahambund
ein einseitiger Bund, den Gott bedingungslos mit Abraham vollzogen hat. Dies
wird in 1. Mose 15,7-21 deutlich. Der Herr gibt Abraham den Auftrag, eine
Jungkuh, einen dreijährige Ziege, einen dreijährigen Widder, eine Turteltaube
und eine junge Taube jeweils in zwei Hälften zu teilen und einander gegenüberzulegen.
Wenn damals ein Bund geschlossen wurde, gingen beide beteiligten Parteien zwischen
den Tierhälften hindurch. In 1. Mose 15 ging aber nur eine Feuerfackel Gottes
zwischen den Hälften durch und nicht Abraham (V 17). Somit ist der Abrahambund
im Gegensatz zum Gesetzesbund (alten Bund) ein einseitiger Bund, der allein in
Gottes Zusage und Verheissung begründet und nicht an Bedingungen geknüpft ist.
Ab Vers 18 stehen die zukünftigen Landverheissungen für Israel ausdrücklich mit
diesem Bund im Zusammenhang. Diese Landverheissungen für Israel haben sich
bisher noch nicht erfüllt. Auch in seiner bisher grössten Ausdehnung unter
David und Salomo hat Israel das Land in den Grenzen vom Strom Ägyptens bis zum
Euphrat nie besessen. Weil der Abrahambund ein einseitiger Bund ist, muss sich
diese Verheissung in der Zukunft auch noch erfüllen.
In Römer 9-11 behandelt
Paulus das Verhältnis der Gemeinde zu Israel. Römer 11,26-27 spricht von der
zukünftigen Errettung Israels. Die Begründung des Apostels folgt in Vers 28-29:
«Hinsichtlich des Evangeliums sind sie zwar Feinde um euretwillen, hinsichtlich
der Auswahl aber Geliebte um der Väter willen.» Hier haben wir den Bezug zu Abraham,
Isaak und Jakob. Im nächsten Vers begründet Paulus das Ganze mit dem
einseitigen Abrahambund: «Denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind
unbereubar.»
Auch schon im Alten
Testament, vor dem mosaischen Bund, wird deutlich dass Gottes Rettungshandeln
mit Seinem Volk im Abrahambund begründet ist. So lesen wir in 2. Mose 2,24 im
Zusammenhang mit der Sklaverei in Ägypten: «Da hörte Gott ihr Ächzen, und Gott
dachte an seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob.» 5.Mose 6,3.10 und 7,8
begründen die Errettung Israels und die verheissene Landnahme ebenfalls mit dem
Abrahambund. Die erfüllten und zugleich zukünftigen Verheissungen für Israel werden
in Psalm 105,7-11 mit dem Abrahambund begründet.
Im Gegensatz zum Lehrsystem
der Bündnis-Theologie ist in der Bibel die zukünftige Verheissung Israels nicht
an den mosaischen Bund gebunden, der an Bedingungen geknüpft war, , sondern an
den Abrahambund. Dieser Bund ist ein einseitiger Bund, dessen Zusagen auch im
Hinblick auf das Land Israel allein in der Verheissung Gottes begründet sind.
2. Israel und Jakob und die
zukünftigen Verheissungen. Wie Anfangs erwähnt, stützt sich
die Bündnis- Theologie unter anderem auf Galater 6,16 und stellt
dadurch die Behauptung auf, dass die Gemeinde das «Israel Gottes»
ist und dass das Volk und Land Israel deshalb keine Verheissung mehr
haben. Einmal abgesehen von der Frage, ob diese Argumentation der tatsächlichen
Aussage von Galater 6,16 entspricht, wird dadurch ein wichtiger Punkt
der Prophetie übersehen.
In vielen zukünftigen
Verheissungen für Israel ist nicht nur von Israel, sondern sowohl
von Israel als auch von Jakob bzw. Jakob und Israel die Rede. So
beginnt der Prophet Jesaja das dreiundvierzigste Kapitel mit folgenden
Worten: «Aber jetzt, so spricht der Herr, der dich geschaffen,
Jakob, und der dich gebildet hat, Israel: Fürchte dich nicht,
denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du
bist mein ...» Bis Vers 7 folgen dann Verheissungen für die zukünftige
Sammlung Israels aus allen Himmelsrichtungen, also nicht nur für die
Rückkehr aus dem babylonischen Exil. In Jesaja 10,20 ist
bezüglich der zukünftigen Errettung ebenfalls sowohl von Israel als
auch vom Haus Jakob die Rede.
In Jeremia 31,35-37 spricht
der Herr davon, dass Sein Bund mit Israel als Volk genauso
unauflösbar ist wie die Naturordnungen und Grenzen der
Naturwissenschaft, die Er den Menschen gesetzt hat. Diese Zusage
Gottes wird nochmals in Jeremia 33,25-26 bestätigt, wobei in
diesem Abschnitt zuerst vom Samen Jakobs und dann vom Samen Abrahams,
Isaaks und Jakobs die Rede ist.
Hier sollen einige weitere
Bibelstellen aus dem Propheten Jesaja, stellvertretend für die
anderen Propheten, aufgeführt werden, in denen bezüglich der zukünftigen
Verheissungen für Israel die Doppelformulierung Israel und Jakob
bzw. Jakob und Israel erwähnt werden: Jesaja 14,1; 27,6; 41,14; 44,2;
48,12; 49,5. Ausserdem gibt es zahlreiche andere Bibelstellen in den Propheten
über die Zukunft Israels, in denen nur von Jakob die Rede ist.
Stellvertretend wieder einige Stellen aus Jesaja: 29,22; 44,2;
44,5; 59,20; 65,9. Warum ist die Erwähnung von Jakob in diesem
Zusammenhang wichtig?
Zum einen steht Jakob oder
«Haus Jakob» im Alten Testament immer auch als Bezeichnung für
das auserwählte Volk Israel in seinem unerlösten Zustand, so, wie
der Stammvater Jakob vor seiner Begegnung mit dem lebendigen Gott
am Pniel war. Den neuen Namen Israel bekam er, nachdem seine eigene
Kraft im Ringen mit Gott gebrochen worden war (1.Mo 32,23-33). Somit
macht die Doppelbezeichung Jakob/ Israel deutlich, was das auserwählte
Volk in sich selbst ist und was Gott aus Seinem Volk einmal machen
wird. Deshalb ist das Gericht an vielen Stellen in den Propheten nicht
nur Israel, sondern ebenso Jakob oder dem «Haus Jakob» angesagt
(vgl. Jes 42,24; 43,28; 58,1). Die Doppelbezeichnung Israel/ Jakob
steht für den unerlösten Zustand des Volkes Israel und wird so auch in
den zukünftigen Verheissungen verwendet, um deutlich zu machen, wie
Gott mit Seinem Volk zum Ziel kommt.
Zum anderen wird der Name
Jakob im ganzen Neuen Testament an keiner einzigen Stelle auf die
Gemeinde Jesu bezogen. Aus diesem Grund ist es unmöglich, dass
die Verheissungen für Jakob und Israel auf die Gemeinde übertragen
werden. Jakob steht immer in einem Zusammenhang mit dem Volk Israel
und niemals mit der Gemeinde!
Der Name Jakob wird im Neuen
Testament fünfundzwanzigmal erwähnt. An zweiundzwanzig Stellen
geht es dabei um den Erzvater Jakob als Person. Damit bleiben
noch drei Stellen übrig, in welchen mit Jakob nicht die Person des
Erzvaters gemeint ist. Zweimal finden wir ihn in den Kapiteln Römer 9
bis11, dem grossen Abschnitt über Israel und die Gemeinde, erwähnt. In
Römer 9,13 wird er im Zusammenhang mit der Erwählung Israels gebraucht, um
die Bedeutung der Erwählung Gottes für Sein Rettungshandeln deutlich zu
machen. Paulus zitiert in Römer 11,26 die Verheissung aus Jesaja 59,20,
um die zukünftige Errettung Israels zu begründen. Auch hier steht
Jakob im Zusammenhang mit dem unerlösten Zustand des Volkes
heute, bis zu dem Zeitpunkt, wo der Herr die Gottlosigkeit abwenden
wird. In der dritten Stelle, Lukas 1,33, bei der Ankündigung der
Geburt Jesu, wird Christus als der Herrscher über das Haus Jakobs bezeichnet.
Mit Haus Jakobs ist ebenfalls immer das auserwählte Volk Israel gemeint.
Dies wird durch Vers 32 verstärkt, wo von dem Thron seines Vaters David
die Rede ist.
Zusammenfassend können wir
sagen, dass das Neue Testament nur dreimal den Namen Jakob
verwendet, ohne direkt die Person des Erzvaters zu bezeichnen. An
diesen Stellen ist jedoch ein unübersehbarer Bezug zum Volk Israel
gegeben. Dagegen stehen die unerretteten Menschen im Neuen Testament im
Zusammenhang mit Adam (Röm 5,14; 1.Kor 15,22).
Die Bündnis-Theologie
übersieht, dass die zukünftigen Verheissungen für Israel in einem
untrennbaren Zusammenhang mit Jakob oder dem Haus Jakob stehen.
Mit dieser Bezeichnung ist in der Bibel abgesehen vom Erzvater Jakob
selbst jedoch ausschliesslich das Volk Israel gemeint und niemals die
Gemeinde.
3. Die Bedeutung von Jeremia
Kapitel 30 bis 31. Der Prophet Jeremia spricht in Kapitel
31,33-40 vom neuen Bund für Israel, im Gegensatz zum alten Bund.
Vertreter der Bündnis- Theologie wenden diesen Bund ausschliesslich auf
die Gemeinde Jesu als dem «Israel Gottes» an; sie sehen darin keine
Verheissung für das auserwählte Volk Israel als solches. Warum diese Anwendung
nicht möglich ist, möchte ich durch einige Gründe, die den ganzen Textzusammenhang
von Kapitel 30 bis31 umfassen, deutlich machen.
– In der Prophetie über die
zukünftige Errettung Israels und den damit zusammenhängenden neuen
Bund wird sechsmal der Begriff «Jakob» verwendet (30,7.10.18; 31,7.11),
der neben dem Erzvater ausschliesslich das Volk Israel in der
Bibel meint.
– Jeremia 31,7 spricht von
der «Bedrängnis Jakobs» vor der Errettung Israels und dem damit verbundenen
neuen Bund für Gottes Volk. Hier haben wir einen weiteren Hinweis, wie das noch
unerrettete Israel (Jakob) durch die letzte Bedrängnis zur Umkehr und Erneuerung
gebracht wird. In Kapitel 30,12-16 redet der Prophet vom sündigen Zustand des
noch unerretteten Volkes.
– Diese Kapitel sprechen an
mehreren Stellen von «Israel und Juda» oder Juda (30,3.4; 31,24). Auch diese Bezeichnung
wird an keiner Stelle des Neuen Testaments auf die Gemeinde angewendet. Sie
wird als Name gebraucht oder steht im Zusammenhang mit dem Stamm Juda.
Bemerkenswerterweise spricht Jeremia im Zusammenhang mit dem neuen Bund zweimal
vom Haus Juda (31,27.31). Zuvor werden bezüglich der zukünftigen Verheissungen das
Land und die Städte Judas erwähnt (31,23.24). Somit kann es nur um Israel
gehen.
– In Kapitel 31 ist von
Ephraim die Rede (31,6.9.18.20). Dieser Name wird in den Propheten oft als ein
Synonym für das Nordreich Israels und damit ganz Israel verwendet.
– Sowohl Kapitel 30 als auch
31 sprechen von der Zerstreuung Israels unter die Nationen und seiner Sammlung (31,11;
31,2.8.10).
– Der Name Zion wird an zwei
Stellen des Neuen Testaments auch auf das himmlische Jerusalem angewandt (Hebr
12,22; Offb 14,1). In Jeremia 30 und 31 kann er aber nur auf das irdische Jerusalem
angewendet werden. Der Prophet spricht von der «ehemals Verstossenen», was nur
das irdische Jerusalem bezeichnen kann (30,17), und macht geographische
Angaben, die sich wiederum nur auf das irdische Jerusalem beziehen können
(31,38- 40). Ausserdem weist Benedikt Peters in seiner Sacharja-Auslegung
darauf hin, dass die Erwähnung des himmlische Jerusalems im Neuen Testament immer
einen Zusatz enthält, um Verwechslungen auszuschliessen (Gal 4,26: Jerusalem
droben; Hebr 12,2: himmlisches Jerusalem; Offb 21,2: neues Jerusalem; Offb 21:
die Braut, die Frau des Lammes; Offb 21,10: die Stadt, die «aus dem Himmel von
Gott» herabkommt).
– Neben der Erwähnung des
Landes wird auch das Gebirge Ephraim genannt (31,6). Ausserdem ist von Tieren und
Weinbergen die Rede (31,5.27).
– Jeremia stellt in Kapitel
31,1 den Bezug zum bisher Gesagten her: «Zu jener Zeit ...» In diesem
Zusammenhang kommt er dann ab Vers 31 auf den neuen Bund zu sprechen. Im
weiteren Verlauf von Vers 1 wird deutlich, dass es nur um das Volk Israel gehen
kann: «... werde ich der Gott aller Sippen Israels sein, und sie werden mein Volk
sein.» Das Wort für Sippe oder Geschlechter meint die Untergruppierung eines
Stammes in den verschiedenen Familien. So hörte Mose die Sippen, jeder am
Eingang seines Zeltes, weinen (4.Mo 11,10). Dieser Begriff meint also die
Sippen innerhalb der Stämme Israels und ergibt als geistliche Anwendung auf die
Gemeinde Jesu überhaupt keinen Sinn.
Der Textzusammenhang und die
darin erwähnten Angaben machen deutlich, dass die Verheissung des neuen Bundes
in Jeremia 31 nicht von der Zukunft Israels gelöst und auf die Gemeinde übertragen
werden kann. Hier unterläuft der Bündnis-Theologie ein biblisch-sachlicher
Trugschluss.
4. Das Kommen des Messias im
Propheten Sacharja. Der Prophet Sacharja spricht sowohl
von dem ersten als auch dem zweiten Kommen Jesu. Im Gesamtzusammenhang
des Buches wird deutlich, dass sowohl das erste als auch das
zweite Kommen des Messias in einem untrennbaren Zusammenhang mit
dem Volk und Land Israel stehen. Alles, was Sacharja über das erste
Kommen Jesu vorhergesagt hat, erfüllte sich nicht geistlich, sondern wortwörtlich.
Etwas anderes ist die bildhafte Sprache in den Visionen und Gesichten
des Propheten. Benedikt Peters zeigt in seiner Sacharja-Auslegung auf,
dass selbst die Ausleger die eine Zukunft für Israel ablehnen, in
Sacharja Kapitel 1 bis11 Jerusalem fast an allen Stellen mit dem
irdischen Jerusalem gleichsetzen. Der Bruch in der Auslegung
innerhalb des Buches erfolgt dann, wenn es um die Wiederkunft Jesu
geht. Dann beginnt man unbegründet, geographische Angaben zu vergeistigen.
Einige Beispiele für die wortwörtliche Erfüllung des Propheten Sacharja
über das erste Kommen des Messias:
– Der Einzug Jesu in
Jerusalem auf einem Esel (Sach 9,9).
– Das Verlassenwerden Jesu
bei Seiner Gefangennahme durch Seine Jünger (Sach 13,7).
– Jesus wurde für 30
Silberlinge verraten (Sach 11,12).
– Die 30 Silberlinge wurden
von Judas in den Tempel geworfen und anschliessend wurde der Töpferacker davon gekauft
(Sach 11,13).
– Die Seite Jesu wurde mit
dem Speer durchstochen (Sach 12,10).
Sacharja spricht an
verschiedenen Stellen in einem engen Textzusammenhang sowohl von dem ersten als
auch von dem zweiten Kommen Jesu. Deshalb besteht kein Grund, die Stellen auf
das zweite Kommen Jesu anders als wortwörtlich zu deuten.
– Die Völker werden sich in
Israel gegen Jerusalem versammeln (Sach 12,1-3).
- Das Haus Davids wird in
dem wiederkommenden Christus seinen Herrn und Gott erkennen und eine
Geistesausgiessung erleben (Sach 12,10).
– Im Zusammenhang mit der
Klage und Busse über den Retter werden die einzelnen Geschlechter Israels
angeführt (Sach 12,11-14). Hesekiel führt in seiner Schau vom messianischen
Reich die Stämme Israels namentlich auf und macht für die jeweiligen
Stammesgebiete exakte geographische Angaben, die nur auf das Land Israel bezogen
werden können (Hes 48,22-29).– Der Ölberg spaltet sich bei der Wiederkunft Jesu
(Sach 14,4).
– Genaue geographische und
namentliche Angaben werden über Israel und auch andere Länder im Zusammenhang mit
der Wiederkunft Christi gemacht (Sach 14,10-11.18). Sacharja spricht wie
Hesekiel (Hes 47,8) von der Talebene am Toten Meer, die auch Arava genannt
wird.
Im Propheten Sacharja sind
die Vorhersagen über das erste und zweite Kommen Jesu so eindeutig und auch an einigen
Stellen miteinander verzahnt, dass es nicht möglich ist, verschiedene Auslegungskriterien
(wörtlich oder geistlich) anzuwenden, ohne einen Bruch in den Prinzipien des
Textverständnisses zu vollziehen. Die wörtlich erfüllte Prophetie über das
erste Kommen Jesu im Buch Sacharja lässt keinen anderen Schluss zu als die
ebensolche Erfüllung bei Seiner Wiederkunft.
5. Die Bedeutung von Galater
6,16. Wie eingangs erwähnt, wird Galater 6,16 als ein
«Paradeargument» der Bündnis-Theologie angeführt: «Und so viele
dieser Richtschnur folgen werden, Friede und Barmherzigkeit über sie
und über das Israel Gottes.» Im Zusammenhang des Galaterbriefes wird deutlich,
dass Paulus mit dem «Israel Gottes» solche meint, die durch die Gnade
Gottes errettet werden. Zugleich muss aber kritisch gefragt werden, ob
diese Stelle tatsächlich lehrt, dass Israel nicht mehr Gottes
auserwählte Volk ist und keine Verheissung mehr hat. Bei einem
näheren Betrachten kann gerade diese Folgerung nicht aus Galater 6,16
gezogen werden. Warum?
Wie soeben angeführt, geht
es im Galaterbrief um die Errettung des Menschen durch die Gnade
Gottes. Paulus macht deutlich, dass dies nicht aufgrund der
äusseren Zugehörigkeit zum auserwählten Volk Israel geschieht, auch
nicht, indem ein Mensch sich beschneiden lässt, sondern ausschliesslich
durch den Glauben an Jesus Christus. Auf denselben Sachverhalt geht
der Apostel in den beiden angeführten Stellen aus dem Römerbrief ein
(Röm 2,28-29; 9,6-11). Dort geht es ebenfalls um die Errettung
eines Menschen!
Nun darf aber die Frage nach
der Errettung eines Menschen nicht mit der Frage nach der
Stellung Israels als auserwähltes Volk Gottes vermischt werden. Dieser
biblische Sachverhalt wird von der Bündnis-Theologie übersehen. Schon
im alten Bund zog die Auserwählung Israels nicht automatisch die Errettung
aller Israeliten nach sich. In Römer 9,27-29 und Römer 11 macht Paulus
deutlich, dass immer nur der Rest oder Überrest des auserwählten Volkes
gerettet wurde. Und der Schreiber des Hebräerbriefes spricht von denen
in Gottes Volk, die nicht glaubten und deshalb dem Gericht verfielen
(Heb 3,7-4,11). Diese Tatsache ändert aber nichts an der Stellung
Israels als Gottes auserwähltes Volk.
Der treue Rest, von dem
Paulus spricht (Röm 9,27; 11,5), findet sich heute in den messianischen
Juden, die zusammen mit den Gläubigen aus den Nationen zur Gemeinde
Jesu gehören. Bei der Wiederkunft Jesu wird jeder Israelit
gerettet, der dann noch am Leben ist (vgl. Sach 12,9-14; 13; 14; Röm
11,25-27). Punktuell, im Zusammenhang mit der Wiederkunft Jesu, ist dies
dann «ganz Israel» (Röm 11,26): Geschichtlich, über die Jahrtausende gesehen,
bildet die letzte lebende Generation zusammen mit dem treuen Rest
durch alle Zeiten hindurch den Überrest des Volkes. Somit stimmen beide
biblischen Sachverhalte überein: Geschichtlich gesehen wird nur ein Überrest
gerettet (Röm 9,27), auf die Situation der Wiederkunft Jesu bezogen, ist es
«ganz Israel».
Unabhängig von dem
geistlichen Zustand der einzelnen Israeliten zeigt sich an der
Stellung der Nationen gegenüber dem Land und Volk Israel immer die
Haltung gegenüber dem lebendigen Gott (vgl. Joel 2,18-19; 4,1-6; Mi 4,11- 13;
Hab 3,12-13 etc.). Der Unterschied zwischen der unantastbaren Stellung Israels als
Gottes auserwähltem Volk und der Errettung der Einzelnen wird im Textzusammenhang
von Römer 9 bis 11 deutlich. So spricht Paulus, damals schon zur Zeit des neuen
Bundes, nicht etwa in der Vergangenheitsform von den Vorrechten Israels,
sondern in der Gegenwartsform (Röm 9,4-5).
Aus diesem Grund müssen wir
auch zwischen Israels Stellung als dem auserwählten Volk Gottes und der
Errettung der Gläubigen aus Israel differenzieren.
Mit dem «Israel Gottes» (Gal
6,16), dem «Juden mit der Herzensbeschneidung» (Röm 2,18-19) und den «Kindern der
Verheissung» (Röm 9,8) hebt Paulus in keiner Weise die Stellung Israels als
auserwähltes Volk und die damit verbundenen noch ausstehenden Verheissungen auf,
sondern er behandelt die Frage nach der Errettung.
Was die Stelle aus Galater
6,16 betrifft, hat Arnold Fruchtenbaum noch auf einen weiteren Zusammenhang aufmerksam
gemacht (s. «Israel und die Gemeinde», Gemeindegründung KFG 1/08, S.
18-21). Eine genaue grammatikalische Untersuchung dieser Stelle legt nahe, dass
Paulus sogar von zwei Gruppen Erretteter spricht. Er schreibt: «Friede und
Barmherzigkeit über sie und über das Israel Gottes!»
Die erste Gruppe wären damit
die Gläubigen aus den Nationen (über sie), die zweite Gruppe, das «Israel
Gottes», der gläubige Überrest innerhalb des Volkes und das errettete Israel
bei der Wiederkunft Jesu. Die Bündnis-Theologie macht dagegen aus dieser
Aufteilung ein und dasselbe. Dazu zitiert Fruchtenbaum Dr. S. Lewis
Johnson:
«Wenn es eine Auslegung
gibt, die sich auf ein wackeliges Fundament stützt, ist es die Sichtweise,
welche behauptet, Paulus stelle den Begriff ‹das Israel Gottes› mit der
Gemeinde der Gläubigen aus den Juden und Nichtjuden gleich. Um dies zu belegen,
muss der allgemeine paulinische neutestamentliche und gesamtbiblische Gebrauch des
Wortes Israel ignoriert werden. Der grammatikalische und syntaktische Gebrauch der
Konjunktion kai (und) wird überdehnt und verdreht – da die seltene und
unübliche Bedeutung herangezogen wird, obwohl die gewöhnliche Bedeutung zufriedenstellend
ist – nur, weil diese Sicht nicht mit der vorgefassten Position des Exegeten
übereinstimmt. Und zu allem Überfluss wird der besondere Kontext des
Galaterbriefes und der weitere Kontext der paulinischen Lehre über Gottes
Handeln mit Israel und den Nationen (wie insbesondere in Römer 11
herausgestellt) vernachlässigt ... die Lehre, dass die Gemeinde aus Nichtjuden und
Juden das Israel Gottes ist, gründet auf einer Illusion. Sie ist ein klassisches
Beispiel von voreingenommener Exegese.»
Zusammenfassend möchte ich
festhalten, dass der Inhalt des Galaterbriefes (Errettung durch die Gnade)
keinerlei Hinweis für die Aufhebung der Erwählung des Landes und Volkes Israels
gibt. Dasselbe gilt für die angesprochenen Stellen aus dem Römerbrief. Eine
genau Untersuchung von Galater 6,16 legt sogar nahe, dass Paulus hier bewusst
einen Unterschied zwischen zwei Gruppen von Glaubenden machte, um jeden
Gedanken an eine Ablehnung der Erwählung Israels auszuschliessen. Es gibt
sowohl auf dem Hintergrund des Neuen als auch des Alten Testamentes überhaupt
keinen Grund, an der bleibenden Auserwählung Israels zu zweifeln. So exakt wie
viele Verheissungen und Gerichtsandrohungen für Israel in der Vergangenheit
eingetroffen sind, wird sich auch noch alles erfüllen, was an göttlicher
Prophetie noch aussteht. Um Seines Namens und Seiner Ehre willen wird Gott
nicht ruhen, bis Er mit Israel zu Seinem Ziel gekommen ist (Jes 48,11; Hes
36,22).
Von
Johannes Pflaum